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Dienstag, 29. Januar 2013

Alexander Hans Gusovius


Im Eintracht-Blog wird hin und wieder der Kraichgau-Philosoph und Fußball-Anhänger von Hoffenheim 1899 Alexander Hans Gusovius zitiert. Die Blogger sind fasziniert von der gewählten Ausdrucksweise, in der dieser Philosoph, Gründungsmitglied der Künstlergruppe Schwarzer Hut, auch die Spiele seines Vereins analysiert. Hier nun ein Beispiel aus dem Alltag dieses Philosophen, wo er sich auch über das Rheinland ausläßt.

 (aus: www.gusovius.net)


Spaßbad in Odenheim

Sonntag, den 04. September 2011 
Während der fünfzehn Monate, die ich nun schon im Kraichgau lebe, ist mir noch kein einziger Mensch wirklich unangenehm aufgefallen. Das ist seit gestern anders. Der hiesige Menschenschlag verfügt über eine robuste Freundlichkeit, über große Toleranz – nicht zuletzt gegenüber sich selbst – und glänzt auch insofern mit enormer Gelassenheit. Anders als im Rheinland, wo die Verschmelzung deutscher und französischer Nationalcharakteristika im Gefolge Napoleons die ungünstigsten Eigenschaften vereint zu haben scheint, ist hier in Nordbaden ein vollendet gelungenes Miteinander germanischer und romanischer Befindlichkeit zu bewundern.
Im Rheinland sind Unpünktlichkeit und falsche Versprechungen, untermischt mit teutonischem Perfektionswahn, an der Tagesordnung. Arbeiten tut man eher ungern, der Feierabend genießt höchstes Ansehen, Fußball als Volkssport hat fanatischen Charakter. In Nordbaden 'schafft' man zwar nicht wie im benachbarten Schwaben, arbeitet aber doch gern, allerdings mit entschieden gemütlichem Einschlag, lässt darum fünfe auch mal gerade sein und vergisst eben nicht, sich am Leben zu erfreuen. Fußball als Volkssport wird leidenschaftlich geliebt und mit großem Ehrgeiz verfolgt, ohne dass es zu fanatischen Auswüchsen käme.
Aus allen diesen Gründen lebt es sich im Kraichgau äußerst angenehm und durchweg behaglich. Umso unangenehmer gestaltete sich gestern mein Besuch im Odenheimer Freibad, das ich eigentlich sehr mag: ein kleines Bad, liebevoll vom Trägerverein gepflegt, selten übervoll, besonders morgens um zehn, wenn sich die Pforten für den normalen Besucher öffnen – Vereinsmitglieder dürfen schon eine Stunde vorher ins Wasser. Darum stehen die Pforten auch offen, wenn man ein paar Minuten vorher kommt, und hat Zeit zum Umziehen und Duschen.
Gestern also traf ich kurz vor zehn Uhr ein, legte die vorgeschriebene Badekleidung an und stellte mich ca. zwei Minuten vor zehn neben dem leeren Becken unter die Dusche, während oben neben dem Aufsichtstrakt ein paar noch früher eingetroffene Damen ungeduscht auf die magische Freigabe des Badebetriebs warteten. Ich hatte mich kaum halb nass gemacht, als ein Bademeister auf der anderen Seite des Beckens in jugoslawischem Akzent lautstark seinen Unmut über mich kundtat – er könne das Bad auch erst zur vollen Stunde öffnen, dann müssten wir solange eben alle draußen warten. Ich trat unter dem prasselnden Wasser hervor und fragte, ob also nicht nur das Baden, sondern etwa auch das Duschen kurz vor zehn Uhr verboten sei.
Da der Mann an seiner dröhnenden Reflexion ungerührt weiterstrickte und irgendetwas von "zehn Minuten vor Eröffnung" faselte, fragte ich ihn etwas ungläubig, ob er wirklich sauer auf mich wäre – nach meiner Uhr war es inzwischen maximal eine Minute vor zehn Uhr. Nein, er sei nicht sauer, röhrte er, um anschließend in noch unangemesseneren Kasernenhofton zu verfallen, was angesichts seines jugoslawischen Akzents nicht eben zur Verständlichkeit der Mission beitrug. Es war aber schon längst klar, wen ich da vor mir hatte: sonnengebräunt, muskulös und mit pelzigem Oberkörper.
Den Typus hatte ich mindestens dreißig Jahre lang nicht mehr erlebt, früher gehörte er zum unguten Inventar fast jeder Schule, fast jeder Jugendherberge. Da war er also wieder: jener wildgewordene Bademeister entsprach bis ins Detail den Hausmeistern meiner Jugend, wie sie im Nachhall des Krieges und vermeintlich glorioser deutscher Siege samt Judenverfolgung und Totalzusammenbruch in der Bundesrepublik zuhauf ihr Unwesen trieben – autoritär, dialogunfähig, vom Leben in Frieden und Freiheit schwer enttäuscht, ohne Partei und Führer orientierungslos, was den autoritären Duktus nur noch vermehrte. In der DDR hat dieser Typus noch ein paar Jahre länger sein Unwesen treiben dürfen, es gab die Herolde der dumpfen Macht an jedem Transitübergang zu erleben.
Fünf Mal ungefähr forderte ich den an sich selbst immer erregteren Bademeister auf, sich nun endlich einer vernünftigen Diktion zu befleißigen, und fügte hinzu, dass er anscheinend ja doch sauer auf mich sei. Letzteres verneinte er erneut, um nach ein paar gestampften Schritten in meine Richtung loszubrüllen, dass er im Übrigen rede, wie er wolle, damit habe ich mich abzufinden. Mittlerweile war es sicher schon kurz nach zehn, etliche neue Besucher passierten den Eingang, allesamt fasziniert vom Schauspiel des brüllenden Bademeisters und meiner halbnassen, immer noch auf Beruhigung der Lage fokussierten Person.
Das Problem und der Witz bei alldem war, dass die Uhr des Odenheimer Freibads immer noch auf ca. zehn Minuten vor zehn stand. Schon vor ein paar Wochen war mir aufgefallen, dass der Zeitnehmer defekt war und bis zu einer Stunde hinter der wahren Zeit herhinkte. Angesichts des sich steigernden Gebrülls des Mannes, das keinerlei Aufklärung über seinen schwachsinnigen Irrtum zuließ, zog ich die einzig mögliche Konsequenz, wenn ich nicht klein beigeben oder es auf ein Handgemenge bzw. eine Prügelei ankommen lassen wollte: beim zu besichtigenden Testosteronspiegel des Bademeisters keine geringe Gefahr. Ich nahm also meine Tasche und spazierte, halb nass, wie ich war, geradewegs aus dem Odenheimer Spaßbad heraus, unter fortgesetztem Brüllen, dem ich entnahm, dass ich mich gern über ihn im Odenheimer Rathaus beschweren dürfe.
Man könnte meinen, derlei Begebenheiten gehörten zum Leben dazu und seien nicht wert, aufgeschrieben zu werden. Aus drei Gründen ist das hier anders. Zum ersten ist so ein Bademeister die unerträgliche Wiederholung jener blockwartähnlichen Hausmeister einer untergegangenen Zeit. Wir wollen so etwas nicht mehr sehen. Zum zweiten hebt er sich krass vom konzilianten, den möglichen eigenen Irrtum stets mitbedenkenden nordbadischen Menschenschlag ab. Es ist unwahrscheinlich, dass der Odenheimer Trägerverein darüber glücklich ist.
Und zum dritten gehen in dieses Freibad auch viele Kinder. Wer möchte sie frohen Herzens solchem seelischen Gewaltpotential ausgesetzt sehen? Kurzum – das Bild des Odenheimer Bademeisters passt nicht mehr in die Zeit und nicht zum Kraichgau, besonders Kinder sollten vor solchem Auswuchs geschützt sein. Für mich hat sich trotz meiner Jahreskarte der Besuch im Odenheimer Freibad jedenfalls erledigt, solange der Mann dort Dienst tut.

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